Museum Bückeburg
Lange Straße 22
31675 Bückeburg
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TRACHTENPUPPEN
Keine Puppen zum Spielen
Um 1900 wuchs das Interesse der bürgerlichen
Gesellschaft an Heimatgeschichte, Volkskunst
und Brauchtum. Auch die Schaumburger
Bauerntracht geriet in den Blick der
Heimatfreunde. Erste Sammler und Forscher
zogen über die Höfe und versuchten, an die
reich verzierten Schürzen, Tücher und Mützen
zu gelangen. Die Schaumburger Tracht hatte
gerade ihre große Blütezeit, während
anderswo die Trachten abgelegt wurden oder
schon länger verschwunden waren.
Volkskundler beklagten den Verlust der
originellen Kleidung. Um Anschauungsmaterial
zu sichern, sollte jede deutsche Trachtenregion
eine Puppe mit möglichst originalgetreuer
Tracht ausstatten. Das gelang nicht überall.
Mancherorts fehlten nicht nur die passenden
Stoffe und Bänder, auch an die genauen
Schnitte und Ausstattungen konnte man sich
nicht mehr erinnern. Außerdem standen nur
die handelsüblichen Puppenkörper zur
Verfügung. Die Wissenschaftler störten sich
vor allen an den Kindergesichtern der kleinen
Trachtenfrauen und –männer.
Zum Spielen waren diese Puppen nicht
gedacht. Kinder durften die teuren
Ausstellungsstücke zwar bewundern, aber
nicht anfassen.
Definition
Der Begriff Trachtenpuppe in seiner
volkstümlichen Bedeutung bezeichnet eine
Puppe in der für einen bestimmten
geografischen Raum typischen Kleidung.Im
volkskundlichen Sinne setzt die
Trachtenpuppe eine genaue und vollständige
Miniatur der Originaltracht voraus;
vereinfachte Trachtenmerkmale sind
Kennzeichen der Souvenirpuppe.
(Definition aus dem Buch Trachtenpuppen aus
aller Welt, Kerler/Rosemann, Rosenheim, 1980)
Bürgerliches Interesse an Bäuerlichem
Eine gute Möglichkeit, sich die Pracht der
Schaumburg-Lippischen Bauernkleidung ins
bürgerliche Wohnzimmer zu holen, war die
Trachtenpuppe. Die Miniaturform der
Festtagstracht machte sich gut auf der
Kommode oder im Vitrinenschrank. Die
Puppen konnten von den gleichen Näherinnen
und Stickerinnen angefertigt werden, die auch
die Bäuerinnen ausstatteten.
In Probsthagen bekam die in der Gegend
bekannte Trachtenstickerin Marie Weidemann
Besuch von der Bückeburgerin Lulu von Strauß
und Torney. Sicherlich wurde viel über die
Tracht und das dazu gehörige Handwerk
gesprochen. Vielleicht gab die Besucherin bei
dieser Gelegenheit auch die beiden
Trachtenpuppen in Auftrag, die heute im
Museum Bückeburg zu sehen sind.
Andenken an die Schaumburger Tracht
Ausstellung vom 26. August 2016 bis zum 31. März 2017
Lulu von Strauß und Torney (*1873 in
Bückeburg, +1956 in Jena) war eine
Balladendichterin und Schriftstellerin. Ihre
Romane spielen vornehmlich im Bauernmilieu
und behandeln menschliches Schicksal.
Bestimmende Themen sind Heirat,
gesellschaftlicher Status und religiöse
Konflikte. „Blut“ und „Erbe“ (die Abstammung
und die familiäre Vorgeschichte) bestimmen
den Lebensweg des Einzelnen. Nicht zuletzt
deshalb wurden die Romane im
Nationalsozialismus als »gestaltetes
Volksschicksal« gerühmt. Ihre damals viel
gelesenen Bücher sind Ausdruck von
Heimatverbundenheit und Volksnähe. Sie gilt
literaturgeschichtlich als Vertreterin des
„naturalistischen Bauernromans“.
Trachtenpuppen von Lulu von Strauß und
Torney
Gegenstände aus dem Bückeburger Nachlass
der Dichterin gelangten 1962 ins Museum,
darunter auch diese Trachtenpuppen. Die
beiden Puppen dokumentieren das
volkskundliche Interesse an Tracht und
Brauchtum. Nur selten wurden
Trachtenpuppen so wie hier mit Trauertracht
ausgestattet. Die meisten Puppen tragen die
Festtags- oder die Hochzeitstracht.
Puppenpaar in Schaumburger Tracht
Marianne Reiche wurde am 3. April 1786 in
Bückeburg geboren. Sie war die Tochter des
Regierungsrates Johannes Daniel Reiche und
seiner Frau Helene, geborene Riepe. Ihr
gehörten die beiden Puppen, die sich schon
lange in der Sammlung des Museums
befinden. In den beiden Puppen erkennt man
zwar recht eindeutig ein Bauernpaar, die
Einordnung als „Schaumburger Tracht“ ist
jedoch ein bisschen gewagt. Vor 1800 und
auch noch in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts unterschied sich die Tracht der
Schaumburger Bauern nicht so sehr von den
anderen Trachten der Region. Erst später
entwickelten sich die typischen Merkmale:
roter Rock und große Bändermütze.
Puppen von Marianne Reiche, alte Schaumburger Tracht
Beide Puppen haben einen Pappmaché-Kopf
(Brustkopf) mit Holzkern und einen Stoffbalg.
Ihre Kleidung zeigt die typischen Elemente
einer Bauerntracht: Leinenhemd, Kaput mit
weißem Kragen und Vorärmeln, Rock mit
Bandbesatz, Blaudruckschürze. Es fehlt die
Mütze, ohne die damals keine Bauersfrau aus
dem Haus gegangen wäre. Dass ein
Stadtmädchen der gehobenen Gesellschaft mit
Bauernpuppen spielte, ist nicht ungewöhnlich.
In der Kleinstadt Bückeburg gehörten die
Bauerntrachten zum Alltagsbild.
Trachtenpuppe von Anna Pawelczyk
Anna Pawelczyk, geb. Schöttker (1920 – 2015)
aus Hülshagen wollte gerne „Nahsche“
(Näherin) werden, aber ihr Vater hat das nicht
erlaubt. So hat sie ab den 1970er Jahren Tracht
im Miniaturformat angefertigt. Bis ins hohe
Alter stattete sie mehrere hundert
Trachtenpuppen mit der Österten Tracht des
Schaumburger Landes aus, die zwischen
Lindhorst und Nenndorf getragen wurde. Für
die Trachtengruppen hat sie auch Trachten-
Stücke geändert oder neu angefertigt, wie
zuletzt Schlipse. Sie selbst hat bis zum
Lebensende Tracht getragen. Auch ihr
Mädchenname hat sie bis zum Schluss
begleitet; für viele ist sie „Schöttker´s Anne“
geblieben.
Anna Schäfer aus Klein Hegesdorf (links) und Anna
Pawelczyk aus Hülshagen gehörten zu den letzten
Trachtenträgerinnen im Schaumburger Land. Sie wurden
fotografiert von Barbora Prekopová, die sich 2011 im
Rahmen ihres Fotografie-Studiums an der FH Hannover
mit dieser besonderen Kleidungsform beschäftigte.
Sophie Wilhelmine Caroline Insinger, geb.
Meier kam 1893 in Kleinenbremen zur Welt. Ihr
Vater war Zimmermann. Sie lernte nähen und
sticken und wurde Trachtenschneiderin. Ihr
ganzes Leben lang trug sie die Westerten
Tracht, die um Bückeburg herum getragen
wurde. Die ersten Trachtenpuppen entstanden
gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, weil die
alliierten Besatzungssoldaten etwas typisch
Schaumburgisches als Souvenir mit nach
Hause nehmen wollten.
Foto (Foto Insinger 5)Caroline Insinger wusste,
was zur Ausstattung einer Trachtenfrau
gehörte. Sie hatte auch die originalen Stoffe,
Bänder und Borten vorrätig, die sie für die
kleinen Puppenkleider brauchte. Dennoch war
der Arbeitsaufwand groß und die Puppen
dementsprechend teuer. Ihre letzten
Trachtenpuppen fertigte sie zwischen 1958
und 1960 an, kurz vor ihrem Tod 1961. Sie
waren für die Tochter und die beiden
Schwiegertöchter gedacht – als Erinnerung an
die Schaumburger Tracht und auch als
Erinnerung an sie selber. In der Familie wurden
diese Puppen die „drei Schönheiten“ genannt.
Und als solche sind sie nun Teil der
Trachtensammlung des Museums.
Ewiger Museumsschlaf
Die Sammlung „Schaumburger Tracht“ im
Museum Bückeburg umfasst ungefähr 4000
Objekte. Gesammelt wird alles, was die
Herstellung und das Leben in dieser
besonderen Bauernkleidung der dokumentiert.
Dabei sind am Rande des Themas kleine
Sondersammlungen entstanden, die sich auf
die Tracht beziehen: Bildpostkarten, Souvenirs,
Trachtenpuppen. Aus der wissenschaftlichen
Perspektive der Volkskunde haben
Trachtenpuppen keine Bedeutung. Als
Erinnerungsstücke dokumentieren sie jedoch
einen sentimentalen Aspekt des
Trachtenwesens, der mit dem Ablegen der
Tracht und ihrem Verschwinden aus dem
Dorfbild zu tun hat. Wenn die Erinnerung an
die Tracht tragende Großmutter verblasst, ist in
den Familien kein Platz mehr für die
ungewöhnlichen bunten Staubfänger. Der
Dachboden ist kein guter Lagerort und
wegwerfen will man diese Familienerbstücke
schon gar nicht. So bleibt als gute
Entsorgungslösung die Abgabe an das
Museum. Im Museum Bückeburg versammeln
sich nun also auch die Trachtenpuppen des
Schaumburger Landes zu einem „ewigen
Schlaf“, aus dem sie sie nur gelegentlich – so
wie für diese Ausstellung – geweckt werden.
Ausstellung „Trachtenpuppen - Andenken
an die Schaumburger Tracht“
26. August 2016 bis 31. März 2017 im Museum
Bückeburg
Leitung: Dr. Anke Twachtmann-Schlichter
Text und Gestaltung: Nadine Werel, Manfred
Würffel
Als Trachtenexperte begleitete Henning
Dormann das Projekt.
Gedankt sei auch allen Spendern. Nicht alle
Trachtenpuppen konnten ausgestellt werden.
Die Museumsunterlagen nennen folgende
Spender-Namen: Angermann-Buff, Baxmann,
Behrens, Böhme, Damm, Ebeling, Friedland,
Fröhlich, Grübbel, Habermehl, Hartmann,
Hasselmeier, Hiltmann-Losche, Klimas, Lange-
Thiem, Lefenau, Lindner, Meier-Floeth, Meier-
Zindler, Möhlmann, Ortanza Idu, Pütz,
Raddatz, Ristenpart, Salau, Scherler, Schrader,
Schauser, Schindelhauer, Siebürger, Speisser,
von Strauß und Torney, Winkelmann,
Wolthusen
Für Leihgaben danken wir: Alexander Fürst zu
Schaumburg Lippe und Henning Dormann
Mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse
Schaumburg und der Schaumburger
Landschaft.